Montag, 7. März 2011

Haiti-Hilfe, warum mach`ich das eigentlich?

Gibt es einen Grund, warum ich mich für Haiti einsetze? Was treibt mich an oder zieht mich ideell? Es gibt keine Siege zu erringen, keinen materiellen Gewinn einzustecken und es gibt auch kein Ansehen zu erwerben.
Mode mit Stekki und Chichi, Mama Theana r. und Darlene l.
Ein Grund ist sicher der, dass meine Freundin Raymonde und ihre herzigen Kinder Stekki und Chichi Haitianerinnen sind. Aber das ist ein ideeller Grund, kein materieller. Materiell haben sie eher darunter zu leiden. Denn meine ganz persönliche humanitäre Unterstützung für haitianische Menschen hier in Las Terrenas ist ein recht hoher Posten in meinem eigenen Budget.
Dankenswerterweise erhalte ich von lieben Freunden hin und wieder einen Zustupf, der mir jedes Mal das Schultern dieser Bürde einfacher macht, herzlichen Dank.
Und es gibt doch noch etwas, was mich reicher macht. Die Haiti-Hilfe macht mich selbst innerlich glücklich und zufrieden, wenn denn mal wieder so ein kleines Erfolgserlebnis kommt. Ja, das ist eine Art von Belohnung, ein seelischer Gewinn. Und diesen Gewinn möchte ich mit anderen Menschen teilen, deshalb schreibe ich hier unter 'Haiti-Cherie' http://haiticherie2010.blogspot.com/


Vielleicht findet sich zudem doch mal jemand, der genügend 'Kohle' hat, sich mit mir in La Saline, dem Armenviertel am Hafen von Port au Prince zu engagieren und 'Haiti-Cherie', die liebenswerte Seele von Haiti in diesem Armenviertel zu entdecken.
Schau Dir nur mal diese fröhlichen Menschen an, mausarm, und alle haben Hunger. Sie leben unter misslichsten Verhältnissen, ohne Hygiene und dann ist jetzt auch noch die Cholera dazu gekommen.


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Mach doch einfach mit! Jeder ist willkommen.
Hans Joachim

Freitag, 4. März 2011

Eine Stadt in Schutt und Asche

Am 15. Januar 2010 lernte ich Port au Prince auf eine eher gespenstische Art und Weise kennen. 
Schon von der Grenze her machte sich ein süsslicher Leichengeruch in der Luft bemerkbar, der sich mehr und mehr verstärkte, je näher wir dem Ort des Todes kamen. Staub lag in der Luft, Atemschutzmasken waren zu empfehlen. Wir, das sind Raymonde, meine haitianische Freundin und ich. Vor genau einem  Monat hatte ich sie und ihre zwei kleinen herzigen Kinder Stekki und Chichi bei mir aufgenommen. Eine weise Vorsehung hat sie mir geschickt und jetzt erweist sich Raymonde, bei ihren Leuten heisst sie nur Mode, als eine sichere Führerin bei dieser Reise an einen ungewissen Ort der Verwüstung.

Es war gegen 8 Uhr am Abend, als wir in Port au Prince ankamen oder besser gesagt, an einen Ort des Todes, der bis vor drei Tagen ein Ort des quirligen Lebens war.
Schon in den Aussenquartieren sah ich Häuser in Trümmer. Aber dann lagen die ersten Brocken auf der Strasse. Im Scheinwerferlicht tauchten zwei Bagger auf, die bei spärlicher Beleuchtung einen Weg durch die Trümmer bahnten und zwei Lastwagen fuhren den Schutt davon.

Mode bemühte sich, die Strassen zu finden und ich folgte ihr fast blindlings, immer bedacht, nicht mit dem Auto im Schutt und zwischen den kleineren und grösseren Trümmerbrocken hängen zu bleiben. Mehrmals musste ich halsbrecherische Wendemanöver in dieser Stein- und Geröllwüste machen, wenn’s nicht mehr weiter ging. Als die Schneisen immer enger und die Gesteinsbrocken handgreiflicher wurden, wollte es sich innerlich in mir weigern, weiter zu fahren. Aber Mode bedeutete mir, nur noch ein wenig, gleich sind wir da.

Und plötzlich lagen Menschen vor mir auf der Strasse, eingehüllt in weisse Laken. ‚Mire, les son mourir’ (die sind ja tot) rief ich Mode zu. Nein, meinte sie, die schlafen nur. Ich denk’, jetzt will sie  mich auch noch veräppeln, mir war bei dem Leichengeruch ohnehin schon fast speiübel  -  und dann gings nicht mehr weiter. ‚Wir sind da!’ rief sie und dann lagen noch mehr
Menschen auf der Strasse, einige hoben den Kopf im Scheinwerferlicht, also schliefen sie doch. Und jetzt komme ich daher und beleuchte diese Szene mit den Autoscheinwerfern. Ich kam mir vor, als störe ich eine Filmszenerie, aber es war blutiger Ernst. Was soll ich tun? Langsam rollt das Auto aus und bleibt ganz unmittelbar zwischen den Schlafenden stehen. Ich schalte die Scheinwerfer ab und den Motor aus. Lautlose Stille, schwarze Nacht, ein Gefühl wie ein Einbrecher beschleicht mich. ‚Ja,’ flüstert Mode ‚wir sind angekommen. Aber mir war gar nicht nach ‚angekommen’ zumute, eher nach Friedhof.  ‚Das muss ich doch festhalten’ durchfuhr es mich. Ich überwand alle inneren Widerstände und machte einige Fotos. ‚Ist mir egal, wenn ich sie jetzt noch störe’ dachte ich, ‚das ist zu gespenstisch, als dass ich mir diese Fotos entgehen lasse’. Aber ausser meinen Fotos geschah nichts. Die Menschen waren wohl zu sehr geschockt, als dass sie eine normale Reaktion hätten zeigen können gegenüber diesem Störenfried.

Mode öffnete leise die Tür, so weit es möglich war, denn ich war ja mitten zwischen die schlafenden Menschen gefahren, die sich aber weiter ganrnicht um das Auto kümmerten, das da so plötzlich aufgetaucht war. Beim Öffnen ging die Innenbeleuchtung des Autos an, was ich als sehr peinlich empfand und Mode rief halblaut mehrmals ‚Mama – Mama – Mama’. Eine Gestalt kam an die Tür und ein wie ein Engel strahlendes weibliches Gesicht erschien aus dem Dunkel, was mir wie eine Erlösung vorkam in dieser Verwesungsgeruchgeschwängerten Luft in rabenschwarzer Nacht. Ich wollte im Auto bis zum Morgen sitzenbleiben, aber das freundliche weibliche Gesicht bestand auf creolisch darauf, auszusteigen und mit ihr zu kommen. Sie weckte mehrere Schlafende neben den Türen und ich kletterte ebenfalls heraus, nicht ohne alle Türen zu verriegeln, denn das Auto war ja proppedivoll mit Hilfsgütern aller Art, besonders Esswaren.
Weil ich ja todmüde war, erinnere ich mich, über schlafende weiss eingehüllte Menschen hinwegsteigend, nur noch daran, dass über der nachtschwarzen Silhoutte der Häuser in der Ferne eine  gespenstische Beleuchtung angeschaltet war, die, wie sich später herausstellte, der Ort der Leichenverbrennung war.

Wir hangelten uns in eine niedrige Steinhütte und ich bekam etwas als Unterlage zum Schlafen, was ich sofort ausnutzte, denn an anderes war in der tiefschwarzen Nacht nicht zu denken. Dabei kauerte ich mich in einem umschlossenen Innenhof auf die Erde, doch war an ein Schlafen zunächst garnicht zu denken. Mode und ihre Mutter sassen da und sprachen halblaut auf creolisch über ihre Wiedersehensgefühle, was ich sehr gut verstand, wobei ich aber ganz überflüssig war.
Jetzt erst kam mir mit einem ständigen Grummeln in der Erde und einem leichten Vibrieren bis ab und zu heftigeren unregelmässigen Erdstössen richtig zum Bewusstsein, was sich da abspielte. Ich selbst empfand das zwar nicht eigentlich unangenehm oder gar beängstigend. Aber mir wurde klar, warum die angsteingeschüchterten Menschen nicht im Hause, sondern draussen auf der Erde schliefen. Und als dann mal ein heftiger Erdstoss meine inzwischen eingedösten müden Glieder wieder aufschreckten, bekam ich eine Handvoll von diesem Entsetzen selbst zu spüren, als dann irgendwo Steine herabfielen und Staub aufwirbelte. Schliesslich hatte mich der Schlaf aber dann doch übermannt und ich wachte erst am Morgen wieder auf, als eine freundliche Sonne die ganze Szenerie mit einem warmflutenden Licht überstrahlte.

Woher plötzlich der Kaffee kam, weiss ich nicht. Sicher hatte man uns zu Ehren irgendwo etwas beschafft, was ich aber dann, noch auf der Erde steifgeschlafen, dankend annahm. Ich glaube, Mode hatte gar nicht geschlafen, denn sie war putzmunter und brachte Jodny, ihren Bruder angeschleppt, der schon darauf wartete, dass endlich die Autotüren aufgemacht und der Inhalt irgendwie verteilt würde.
Mein Auto stand auf einem etwa 40 x 40 m grossen Platz, der sich später als Plaza Jeremie entpuppte und war umringt von vielleicht 20 kleineren und grösseren Kindern, die sich an den schmutzigen Autofenstern die Nasen plattdrückten, um all das zu sehen, was es da drinnen halt zu sehen gab. Statt der vielen schlafenden Menschen, die irgendwie verschwunden waren, lagen noch einige Decken, Matten und Teppiche am Boden, auf denen sich Kinder tummelten, die eigentlich recht fröhlich aussahen, so als ob gar nichts passiert sei. Aber das Grummeln und vibrierende Stossen in der Erde war doch allgegenwärtig und es kam mir vor, als ob ich auf einem Pulverfass gehe. Ich hatte irgendwie das Gefühl, der Boden sei kochendheiss, aber beim Anfassen fand ich nichts Abnormales. Jodny erklärte mir auf radebrecherischem Französich, dass der Boden örtlich nur etwa 1 m über dem Meeresspiegel liegt, was auch erklärt, warum der Boden zwar trocken, aber doch irgendwie feucht aussah.
Vor der Häuserzeile entlang schlängelt sich ein flacher Kloakenbach, der nicht nur unappetitlich, sondern auch mit Fliegen übersät und gar nicht hygienisch neutral aussah. Ich hatte das Gefühl, dass diese Wohnumgebung für mich hartgesottenen Mitteleuropäer äusserst gewöhnungsbedürftig daherkam, wurde aber jäh aus meinen Gedanken gerissen, als die Kinderschar immer grösser wurde und fast beängstigende Ausmasse annahm.
Um zu verhindern, dass mein Auto gestürmt würde, sobald ich die Türen aufmachte, holte ich als Erstes die vier  mittelgrossen Schachteln mit Schokolade  und Schleckereien heraus, die ich vorsorglich für Kinder mitgebracht hatte und Mode verteilte sie an die Kinderschar. Danach konnte ich alle Hilfsgüter in einen Raum verstauen, der eilends bereitgemacht wurde,
Die nächste Zeit bis zum Abend verging Schlag auf Schlag. Nach einigem Nachdenken bestand ich darauf, den ganzen Tag in der Stadt zu verbringen, nur noch eine weitere Nacht in der Hütte auf dem Boden zu schlafen und dann beizeiten wieder die 600 km unter die Füsse oder besser unter die Räder zu nehmen und eine zweite Hilfsfahrt zu organisieren. An diesem Tage aber wollte ich das inzwischen in meinem Kopf fertig aufgestellte Projekt 1:1 realisieren.

Dr,med Junette Joseph

Man muss sich das nur mal vorstellen, Chaos in einer vollständig zerstörten Stadt. Nichts funktioniert, kein Licht, kein Strom, kein Benzin, kein Wasser, kein Essen, keine Hygiene, nur Nichts und das ist Alles. Ich brauchte einen Arzt für die Erste Hilfe, Ich brauchte einen Ort und Personal zum Aufbau einer Suppenküche und ich brauchte eine Betreuung für Kinder.

Mode war überall der rettende Engel. Ihre im Armenviertel La Saline am Hafen von Port au Prince und in der Stadt lebende Grossfamilie war so zahlreich, dass ich sofort  und wie ein Wunder alles bekam, was ich brauchte  -  und alle Personen ,die ich brauchte, waren bis zum Mittag zur Stelle. Jodny, Mode’s Bruder, war bis zum Erdbeben Mitarbeiter im haitianischen Transportministerium, jetzt zwar wegen der eingestürzten Bürogebäude arbeitslos, hatte aber noch seinen Kleinbus, um Transporte durchzuführen.
Pastor Samson Joseph





Pastor Samson Joseph, dessen Kirche neben der Plaza Jeremie in La Saline eingestürzt war, selbst verletzt durch das Erdbeben, hatte einen privaten Steingarten am Rande der Stadt mit einem unzerstörten Haus und war sofort bereit, Kinder bei sich aufzunehmen. 

Dr.med. Junette Joseph, seine Schwester, stellte sich sofort zur Verfügung, mit den mitgebrachten Medikamenten Erste Hilfe zu leisten und Mme Vousele und Ciliana, zwei befreundete Frauen, waren bereit, unter der Leitung von Mama Theana und Papa Adrien, die Eltern von Mode, eine Suppenküche aufzubauen und zu betreuen. Basbah, der Onkel von Mode, ein Schlossermeister, drängte sich, als helfende Hand alle mechanischen Teile zu organisieren, die es braucht, um eine Küche unter freiem Himmel zu errichten.

So, jetzt am Mittag, stand das Projekt. Sogar eine Sicherheitsgruppe, die sich eiges um die Sicherheit meiner Person zu kümmern hatte, stand auf Jodnys ausdrückliche Anordnung bereit, mich auf Schritt und Tritt zu begleiten. Ich hielt das zwar für vollkommen überflüssig, aber Jodny bestand darauf, also gut.
Am Nachmittag wurde auf der Plaza Santa Anna, neben der gleichnamigen eingestürzten Kirche, Erste Hilfe geleistet, während Basbah daran ging, die Küchenteile zusammenzustellen und Pastor Joseph in seinem Garten Vorkehrungen traf, in einem aufzubauenden Zelt Kinder aufzunehmen und zu versorgen.
Dra Junette sichtete erst einmal die mitgebrachten Medikamente, Wundversorgungs- und Verbandsstoffe, es waren etwa 4 mittelgrosse Kisten voll. Sie ordnete es sich so, wie sie es brauchte und  Jodny, der ständig um uns war, besorgte 4 Träger für die Kisten und schärfte den Sicherheitsleuten ein, mich nicht aus dem Auge  zu lassen.
Es war ein bunter Haufen, der sich da als Hilfsgruppe zusammengefunden hatte, Dra Junette, allen voran, ging von einem Verletzten zum anderen, um Wunden der Menschen zu versorgen, die auf der Plaza Santa Anna behelfsmässig am Boden lagen und auf Hilfe warteten. Eine jüngere Frau wird mir unvergesslich bleiben, was mir jedes Mal wieder das Wasser in die Augen treibt. Sie sass da auf einer Bank und weinte bitterlich. Man hatte ihr ein Bein abgenommen, was zerquetscht war und den Stumpf mit Binden eingebunden. Vor Schmerzen weinende und sich krümmende Menschen lagen mit halbwegs verbundenen Gliedmassen, Kopf- und Körperwunden am Boden und riefen nach Hilfe. Jeder wollte zuerst versorgt werden. Und Dra Junette  meisterte das mit stoischer Ruhe, wie man das überall auf der Welt von einer Ärztin oder einem Arzt erwartet. Meine Bewunderung für sie war grenzenlos. Ich selbst konnte nicht allzu lange auf diesem Platz bleiben, denn es galt ja, das gesamte Projekt in der rechten Weise in die Wege zu leiten.

Basbah hatte inzwischen einen Dreifachherd nach haitianischem Muster zusammengestellt und in einem Innenhof, nur durch einen schmalen Gang von der Plaza  Jeremie getrennt, eine Behelfsküche eingerichtet. Es wurde Holzkohle besorgt, denn schon am nächsten Tag sollten die ersten Essen ausgegeben werden. Die Organisation der Kindersammlung und –versorgung hatte Pastor Joseph übernommen, doch brauchte er dafür den ganzen Nachmittag. Er bestand darauf, mir am nächsten Morgen ein erstes Ergebnis zu präsentieren.

Todmüde schlief ich ein zweites Mal auf dem Boden, eigenartig im Schlaf begleitet durch das Grummeln und leichte Erdstossen, mal leicht, mal etwas heftiger, immer mit dem Gefühl, auf einem in der Tiefe brodelnden Vulkan  zu leben, eine eigenartige elektrisierende Spannung in der Luft.

Hans Joachim


In der nächsten Fortsetzung:
Die Kinder von La Saline - Projekt Dach über dem Kopf - der Betrieb der Suppenküche - das Kinderdorf Jardin des enfants - Minustah-Militär zu Lande und in der Luft