Donnerstag, 24. Februar 2011

. . . wie es zu meinem Haiti-Engagement kam


Ich sitze am 12. Januar 2010 gegen 6 Uhr nachmittags am Tisch in meinem Häuschen am Palapa-Beach in Las Terrenas und klimpere auf meiner Tastatur irgendwelche Astrologie-Texte für esoterikforum.at, als ein leichtes bis mässiges Gewackel auf ein Erdbeben hinweist. Na, denke ich, mal wieder so eins und vertiefe mich eigentlich sofort wieder in meine Texte.
Etwa 15 Minuten später vernehme ich im TV, schweres Erdbeben in Haiti.

Sofort versucht Raymonde, meine haitianische Freundin, ihre Familie in La Saline, dem Armenviertel am Hafen von Port au Prince zu erreichen – keine Antwort. Mit nur sehr kurzen Pausen versucht sie es wieder und wieder, jedes Mal wird ihre Verzweiflung immer spürbarer. Auch Freunde und Bekannte aus Haiti erhalten keine Antwort. Erst am nächsten Tage meldete sich ihr Bruder Jodny und teilte mit, dass die ganze Stadt zerstört sei, alle Familienmitglieder aber aus ihren eingeschossigen Hüttlein so frühzeitig herausspringen konnten, dass niemand verletzt wurde.
Er selbst hatte seine Arbeit um 5:00 nachmittags dortiger Zeit beendet und war gerade in sein Auto gestiegen und losgefahren, als sein Auto heftig hin und hergeschüttelt wurde. Mit halbem Auge sah er noch, wie das Bürogebäude, in dem er für das haitianische Verkehrsministerium arbeitet, zusammenstürzte und die Steine und Trümmer gegen sein Auto geschleudert wurden. Er konnte dem Inferno gerade noch entkommen. Raymonde fiel ein Stein vom Herzen, dass ihre Familie unverletzt geblieben ist, wenngleich einige der Häuslein eingestürzt sind.  Noch gleichentags berichtete ich allen meinen Freunden in Europa, was ich von Jodny gehört hatte, aber auch davon, dass wir zwar nahe dran sind, aber selbst nichts tun können, weil die nötigen Mittel fehlen.

Am nächstenTag meldet sich Rita, eine Bekannte aus Zürich und teilt mit, dass Marcel, ein naher Freund von ihr, aus der Familienstiftung Mano in Erlenbach eine grössere Summe zur Verfügung stellt, um Soforthilfe zu leisten. Das Geld sei am nächsten Tag auf meinem Konto und ich könne es nach eigenem Gutdünken sofort in Haiti einsetzen. Allerdings mit der Massgabe: 'Richte eine Suppenküche ein und sammle Kinder von der Strasse auf, die ihre Eltern verloren haben!' - Ohne eine Sekunde zu zögern habe ich das sofort 1:1 umgesetzt.
Als ich das Mail von ihr las, bekam ich Gänsehaut. Ich kenne dieses Gefühl, wenn eine innere Stimme mich ganz unmissverständlich aufruft, ohne zu zögern und ganz ohne Widerspruch und Bedenken, ohne Fehl und Tadel das Richtige sofort zu tun. Kam meine Frage: 'Was ist denn jetzt das Richtige?' Nachdenken, Pause, kreative Einkehr.


Die Vorbereitung
Meine Mitteilung an Freundinnen und Freunde in Europa muss wohl ganz unmittelbar auf fruchtbaren Boden gefallen sein, denn weitere Freunde meldeten sich, um mir Geld zur Verfügung zu stellen für eine Soforthilfe. Aber wie kann eine Soforthilfe aussehen? Und was erwartet mich überhaupt, wenn ich einfach so dahinfahre und Hilfe leisten will. Wenn ich schweres Räumgeraet hätte, einen Bagger oder Raupentrax oder mindestens einen Presslufthammer mit Aggregat, dann könnte ich was bewirken, aber so . . .

Und dann höre ich immer wieder solch grauenhafte Berichte von Jodny aus Haiti und sehe die Bilder am Fernseher, dass es selbst auf schwiizerisch 'däm Tüfel graust'. Und Raymonde ist ganz begeistert vom Gedanken, den Menschen im Armenviertel von La Saline beistehen zu können, unter denen ja auch ihre Familie ist.

Ich weiss  alle die Freunde aus Europa setzen auf mich und schicken mir Geld und Ratschläge und Marcel mahnt an, dass er fest damit rechnet, dass ich eine Suppenküche in der zerstörten Stadt einrichte und Kinder einsammle, die ihre Eltern verloren haben. SEIN WUNSCH WAR MIR EIGENTLICH BEFEHL. Und warum? Weil das so logisch war.

Richte eine Suppenküche ein und sammle elternlose Kinder. Einrichten, einsammeln, einrichten einsammeln, ja, das war es. Aber wie?

Ich habe ja eigentlich nur einen Motorroller, weil ein Auto hier in Las Terrenas eher hinderlich ist und man mit einem Zweirad überall hinkommt auf schmalen und sandigen Wegen. Also brauchte ich ein Auto, um Hilfsgüter zu transportieren.
Es ist ja garnicht so einfach, aus dem Stegreif, ganz ohne längere Vorbereitungszeit. Also gehe ich zum erstbesten Autovermieter und will ein Auto mieten. 'Was' sagt der 'nach Haiti willst du? Dafür sind mir meine Autos zu schade.' Also gehe ich zum nächsten. Der winkt gleich ab. 'Meine Autos sind nicht für Haiti versichert'. Beim nächsten geht es mir ähnlich und beim übernächsten ebenso. Meine Verzweiflung wächst. Sollte das Vorhaben scheitern? Kanesh war der grösste Auto-Vermieter in Las Terrenas. Sein Stellvertreter erklärt mir lang und breit, dass er mir ja gerne helfen würde, aber die Versicherung nicht für Schäden in Haiti aufkommt. Also auch nichts. Raymonde hat die rettende Idee. Ein Freund von ihr hat ein neueres Auto, einen Chevrolet Tracker mit Allradantrieb. Andy, so heisst der Freund, erklärt sich sofort bereit zu helfen, als er erfährt, worum es geht. ‚Allerdings’, so sagt er, ‚sind die Strassenverhältnisse zwischen Barahona und der haitianischen Hauptstadt Port au Prince so schlecht, dass er einen erhöhten Verschleiss rechnen muss und statt der üblichen 2000 Peso nun 2500 Peso (etwa 50 Euro) haben muss

Ich bin noch so froh und sage ihm sofort zu mit der Vorbedingung, dass das Auto am nächsten Morgen, also am 15. Januar startbereit ist.
Ich hatte mir überlegt, dass es wenig sinnvoll ist, in Las Terrenas Hilfsgüter einzukaufen. Das geht am besten und preisgünstigsten in Santo Domingo
Am nächsten Tag war das Auto da, und das Geld war da und dann gings los.


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